Fühlst du dich manchmal von den Sinneseindrücken überfordert?
Laute Umgebungen, grelles Licht und/oder intensive Gerüche überwältigen dich?
Musikalische, malerische oder andere Formen von Kunst können dich zutiefst berühren?
Stimmungen von anderen nimmst du sehr schnell wahr und beeinflussen dich?
Hast du ein vielschichtiges, reiches Innenleben?
Falls du diese Fragen mit einem «Ja» beantworten kannst, empfehle ich dir, bei Gelegenheit einmal den kompletten Fragebogen zur Hochsensibilität durchzugehen. Kannst du im Internet downloaden. Falls du dies nicht schon lange gemacht hast. Das könnte für dich vielleicht ziemlich interessant und aufschlussreich sein.
Vielleicht ist dir schon aufgefallen, dass ich diesen Blog wieder etwas habe aufleben lassen. Ein Blogrevival sozusagen.
Als ich damals mit dem Bloggen anfing, ging es hauptsächlich um den Brummschädel. Das Thema Hochsensibilität wurde auch immer mal wieder angeschnitten. Und so soll es nun weitergehen. Ich werde zukünftig dem Thema der Superpower etwas mehr Platz einräumen und in Zusammenhang mit weiteren Ideen setzen. Ja, ich weiss, es gibt schon sehr, sehr viele Blogs und Foren und wasweissichnoch, die über dieses Thema schreiben. Und jetzt komm ich auch noch…. Aber ich schreib nun mal gerne über das, was mich fasziniert. Die Selbsterfahrung und die mittlerweile über zwei Jahrzehnte lange Auseinandersetzung mit der Hochsensibilität (Ja, das erste Buch über die Hochsensibilität habe ich mit 11 Jahren gelesen!) sind weitere starke Argumente, damit im WWW mitzumischen. Also lass uns gleich mit dem heutigen Artikel damit starten. Und zwar mit ein paar grundlegenden Informationen zur Hochsensibilität. Dazu, was sie ist und was sie eben nicht ist.
Die Hochsensibilität hat in den letzten Jahren zunehmend an Aufmerksamkeit gewonnen. Dies zu Recht. Immer noch sehr viele Menschen wissen nicht, dass sie ebenfalls davon betroffen sind und dass ihr Verhalten in manchen Situationen mit diesem Konzept zusammenhängen könnte. Der eine oder andere Aha-Moment wäre dann gegeben. Betroffen sind nämlich ca. 15-25% der Bevölkerung. Das ist eine beträchtliche Anzahl. Trotz der steigenden Bekanntheit werden der Hochsensibilität noch immer Stigmas zugeschrieben. «Stell dich mal nicht so an, ist ja gar nicht viel los.» «Jetzt sei mal nicht so sensibel.» «Du bist schon wieder vollkommen in deiner eigenen Welt.» Dies sind nur wenige Beispiele an klassischen Aussagen, die hochsensible Personen von ihrem Umfeld immer wieder an den Kopf geknallt bekommen. Und das weil die anderen halt irgendwie keinen Schimmer davon haben, was es mit der Hochsensibilität auf sich hat.
Hochsensibilität (engl. Sensory Processing Sensitivity, SPS) wurde von Aron und Aron im Jahr 1997 erstmals in die Wissenschaft eingebracht und beschreibt ein Konstrukt, das sich in der Reizverarbeitung von anderen Personen unterscheidet. Elaine Aron und ihre Fachkollegen (2005) gehen davon aus, dass rund 15-25% der Bevölkerung hochsensibel sind und damit in vielen Situationen empfindsamer reagieren. Es wird angenommen, dass die Wahrnehmungsfilter hochsensibler Personen durchlässiger sind und das Nervensystem schneller einer Reizüberflutung ausgesetzt ist. Weiter sind sie der Auffassung, dass Betroffene Umgebungsgeräusche, Gerüche, Stimmungen, Details und Reize anderer Art intensiver wahrnehmen, was für sie ohne entsprechende Verarbeitungsmöglichkeit bzw. Ruhepausen schneller sehr ermüdend wirkt. Als wesentliche Kernmerkmale hochsensibler Menschen gelten nach Aron und Jagiellowicz (2012) insbesondere vier Facetten («DOES»):
1. eine vertiefte Reizverarbeitung (engl. Depth of processing) – eingehende Informationen werden gründlicher und tiefer verarbeitet, hochsensible Personen denken intensiv über Dinge nach und analysieren Situationen detailliert.
2. eine Übererregbarkeit (engl. Overstimulation) – aufgrund ihrer erhöhten Empfindlichkeit können hochsensible Personen schneller von Reizen überflutet werden. Laute Geräusche, grelles Licht oder Menschenmengen wirken oftmals überwältigend.
3. Empathie und emotionale Reaktionsbereitschaft (engl. Empathy and emotional) – Emotionen werden oftmals intensiver erlebt, Gefühle anderer werden schnell wahrgenommen und können die eigene Stimmung beeinflussen.
4. eine Wahrnehmung von Feinheiten (engl. Sensitivity to subtil stimuli) – hochsensible Menschen bemerken oft Details und Nuancen, die anderen entgehen.
Gemeinsam betrachtet ergeben diese vier Merkmale die typischen Charakteristika einer hochsensiblen Person. Hochsensible Menschen bringen innere sowie äussere Erfahrungen und Informationen in Zusammenhang, was oftmals mehr Überdenk- und Verarbeitungszeit fordert und ein Bedürfnis nach Tiefe und Sinn hervorruft. Dies erklärt, weshalb Hochsensible keine guten Small-Talker sind und ein ausgeprägtes inneres Wertesystem besitzen.
Im Zuge der Hochsensibilität entstehen immer mal wieder Missverständnisse oder sie wird von manchen in eine falsche Schublade gesteckt. Daher ist es an der Zeit, einige Punkte klarzustellen.
Die Hochsensibilität ist keine psychische Krankheit oder ein Störungsbild! Hochsensible Menschen sind weder krank noch gestört. Sie können jedoch für Krankheiten wie Depressionen oder Angststörungen anfälliger sein. Dies aufgrund ihrer erhöhten Empfindsamkeit und wenn sie einen nicht ganz so optimalen Umgang mit der Reizüberflutung ausüben. In diesem Zusammenhang soll erwähnt werden, dass hochsensible Personen aufgrund ihrer erhöhten Reizwahrnehmung Stressoren vermehrt und intensiver wahrnehmen und damit einer Stressoren-Überstimulation ausgesetzt sein können. Sofern sich dies chronifiziert, sind sie anfälliger auf daraus entstehende Gesundheitsschäden. Mehrere Studien belegen eine Korrelation zwischen Hochsensibilität und Krankheitsbildern bei dysfunktionaler Verhaltensweise gegenüber Herausforderungen/Stressoren (Ahadi & Basharpoor, 2010; Benham, 2006; Liss et.al. 2005).
Hochsensible Menschen sind weder schwach noch überempfindlich! Nicht selten wird die Hochsensibilität mit Überempfindlichkeit gleichgesetzt. Dem ist nicht so! Infolge ihrer vertieften Wahrnehmungsfähigkeit nehmen sie die gleichen Reizimpulse, die auch nicht-hochsensible Menschen aufnehmen, stärker wahr. Das heisst, dass Betroffene in gewissen Situationen auch einfach mal etwas mehr Zeit für etwas brauchen, weil sie die Reize zuerst verarbeiten müssen. Das hat aber nichts mit Schwäche oder Überempfindlichkeit zu tun. Viele hochsensible Menschen sind mit einer hohen emotionalen Intelligenz gesegnet. Diese ermöglicht ihnen u.a. tiefere und reichere emotionsbehaftete Erfahrungen zu erleben und abzuspeichern. Auch setzen sie z.B. im Kontakt mit Mitmenschen einzelne Kontexte in Zusammenhang und fühlen denen in ausgeprägter Form nach. Soll mal einer behaupten, dass dies eine Schwäche sei…. stark!
Hochsensible Menschen sind nicht zwangsläufig auch introvertiert! Aufgrund des eher tieferen Themas komme ich in Sachen Introversion und Hochsensibilität in einem separierten Artikel ausführlicher darauf zu sprechen. Dies würde hier den Rahmen des Artikels sprengen. Aber eines schonmal vorab: Nicht jede hochsensible Person ist automatisch auch introvertiert, geschweige denn das Hochsensibilität mit Introversion gleichzusetzen ist. Nope!
Es ist unumstritten, dass viele hochsensible Personen auch eher introvertiert sind. Demgegenüber gibt es aber auch viele extrovertierte Menschen, die hochsensibel sind. Auch wenn im Rahmen der Hochsensibilität Betroffene introvertierte Verhaltensweisen zeigen, ist der Umgang in bestimmten Situationen immer noch sehr individuell zu betrachten. Während die einen gerne unter Menschen sind und es auch mal laut mögen, aber dennoch Charakteristika der Hochsensibilität aufweisen, ziehen sich die anderen gerne zurück und verarbeiten Reize auf ihre Art und Weise. Schubladisieren bringt also auch hier nix!
Hochsensible Menschen sind schüchterne Hasen! Da sträuben sich mir die Nackenhaare…. Ähnelnd der Introversion, sind Hochsensibilität und Schüchternheit zwei Paar Schuhe. Schüchternheit bezieht sich auf die «Zurückhaltung in sozialen Situationen, die entweder auf Ungeselligkeit (besonders bei erzwungenen Situationen) oder auf sozialer Ängstlichkeit» (Asendorpf & Neyer, 2018) zurückzuführen ist. Hochsensibilität hingegen – haben wir ja schon durchgekaut – beruht auf einer vertieften Reizverarbeitung interner und externer Stimuli.
Nun, im ersten Teil dieses Artikels haben wir uns die Hochsensibilität und ihre Eigenschaften etwas genauer angeschaut. Der zweite Teil befasst sich damit, was die Hochsensibilität eben genau nicht ist.
Auch wenn es mittlerweile viele wissenschaftliche Untersuchungen zur Hochsensibilität gibt, wird sie noch immer nicht als Persönlichkeitsmerkmal postuliert. Allein schon deswegen kann sie nicht mit Introversion o.ä. gleichgesetzt werden. Also sehen wir sie eher als eine Charakteristika eines Individuums, die sowohl viele Stärken aber auch Herausforderungen mit sich bringen kann. Ein adäquater Umgang ist daher für Betroffene sehr wichtig. Indem wir ein noch besseres Verständnis der Hochsensibilität gegenüber entwickeln, kann dazu beigetragen werden, das Wohlbefinden und die Akzeptanz von hochsensiblen Personen in der Gesellschaft zu steigern und im Allgemeinen die Materie an sich mit der Zeit weniger zu stigmatisieren.
Blog N` Roll
Literaturverweis:
Ahadi, B. & Basharpoor, S. (2010). Relationship between sensory processing sensitivity, person-ality dimensions and mental health. Journal of Applied Sciences, 10(7), 570–574.
Aron, E. & Aron, A. (1997). Sensory-processing sensitivity and its relation to introversion and emotionality. Journal of Personality and Social Psychology, 73(2), 345–368.
Aron, E. N., Aron, A. & Davies, K. M. (2005). Adult shyness: the interaction of temperamental sensitivity and an adverse childhood environment. Personality & Social Psychology Bulletin, 31(2), 181–197.
Aron, E. N., Aron, A. & Jagiellowicz, J. (2012). Sensory processing sensitivity: a review in the light of the evolution of biological responsivity. Personality and Social Psychology Review : an Official Journal of the Society for Personality and Social Psychology, Inc, 16(3), 262–282.
Asendorpf, J. B., Neyer, F. J. (2018) Psychologie der Persönlichkeit. Springer-Verlag- GmbH Deutschland. 6. Auflage
Benham, G. (2006). The Highly Sensitive Person: Stress and physical symptom reports. Person-ality and Individual Differences, 40(7), 1433–1440.
Böttcher, J. & Schneider, C. (2019). Ein multidimensionaler Blick auf das Phänomen der Hoch-sensibilität. In J. Böttcher, A. Wandel, C. Schneider, S. Görlitz, M. Rex-Najuch & B. Seitz (Hrsg.), Fachbuch Hochsensibilität. Worauf es in der Begleitung Hochsensibler ankommt (2. Auflage, S. 221–326). Munderfing: Fischer & Gann.
Liss, M., Timmel, L., Baxley, K. & Killingsworth, P. (2005). Sensory processing sensitivity and its relation to parental bonding, anxiety, and depression. Personality and Individual Differences, 39(8), 1429–1439.