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Das sonst so hell und fröhlich eingerichtete Spielzimmer ist jetzt völlig dunkel.
Das Fenster leicht geöffnet, damit etwas frische Luft reinkommt, die Geräusche von draussen klingen in diesem Moment jedoch ohrenbetäubend laut. 

Eigentlich möchte ich weinen vor lauter Schmerzen, aber selbst das ist nicht mehr möglich weil dieser pulsierende, pochende Schmerz & die Übelkeit dadurch noch stärker werden. In diesen Stunden habe ich als sonst so aufgestelltes, lebensfreudiges Kind nur noch einen Wunsch: Wechselt mir bitte diesen verdammten Kopf aus. Lass es endlich vorbei sein!!
Dank den Medikamenten ist es mir möglich, wenigstens ein paar Stunden zu schlafen, bevor die Wirkung wieder nachlässt und der Schmerz mich erneut aus dem Schlaf reisst. Das Theater geht nun wieder von vorne los. 

Im zarten Alter von sieben Jahren, also vor genau 20 Jahren, hatte ich meinen ersten Migräneanfall. In regelmässigen Abständen lag ich über einen Zeitraum von durchschnittlich zwei Tagen im Bett und konnte weder essen noch wirklich gut schlafen oder sonst irgendetwas tun. Das Einzige was mir übrig blieb, war abzuwarten und zu beten, dass es schnell wieder vorbei geht. Damals verstand ich logischerweise noch nicht sehr genau, was da jetzt gerade mit mir passiert und welche Auswirkungen das haben wird. Entsprechend hatte ich grosse Angst, dass ich nicht mehr gesund werde oder mein Kopf gleich in tausend kleine Stücke zerbricht. Ich hatte innerliche Panik. 
Meine Mutter bemühte sich stets darum, mich zu beruhigen. Immer wieder setzte sie sich neben mein Bett, gab mir die Sicherheit da zu sein. Mit angenehm ruhiger Stimme und liebevollen Worten sprach sie zu mir. Mit sanften Bewegungen strich sie mir über die Wangen und legte behutsam immer und immer wieder einen frisch gekühlten Waschlappen auf meine Stirn. Ständig hatte ich bereits als Kind ein schlechtes Gewissen meinen Eltern gegenüber. Das letzte was ich wollte war, ihnen solche Sorgen zu bereiten. Das haben sie nicht verdient. Ein weiterer Baustein der Teufelsspirale. Ein weiterer innerer Stressfaktor, der einer schnellen Genesung auch nicht sonderlich viel beiträgt. 

Es sind Kindheitserinnerungen, die auch heute noch auftauchen. Erinnerungen daran, in welchem Zustand ich war. Erinnerungen daran, wie ich vor Schmerzen weinte. Erinnerungen daran, wie wir inmitten der Nacht in die Notfallstation mussten, weil es nicht mehr tragbar war. Erinnerungen daran, wie mein Kreislauf zusammenbrach. Sämtliche Male. An dieser Stelle ein Danke an meine Ärzte für ihren Einsatz!
Es sind Erinnerungen, die mich prägten. Unter anderem sind es auch diese Erinnerungen und Erfahrungen, die mich ein Stück weit zu der Person formten, die ich heute bin. Heute weiss ich, dass ein solcher Migräneanfall keine lebensbedrohliche Situation darstellt. Wie willst du das als Kind schon wissen? Heute habe ich eine komplett andere Einstellung zu dieser ganzen Thematik. Aber auch diese Einstellung hat sich erst im Verlaufe der Jahre aufgebaut.
In solch einer Sequenz der Erinnerung ist es entscheidend, wie du damit umgehst. Das soll der heutige Artikel darlegen. In diesem Beitrag eröffne ich dir eine weitere Tür meiner Erfahrungs-Schatzkammer. Vielleicht kennst du Kinder, die ebenfalls an Migräne oder starken Brummschädeln leiden. Vielleicht hast du selbst ein betroffenes Kind. Mit dem Gedanken, dich hierbei ein Stück zu begleiten, ist dieser Beitrag entstanden. Ich tauche für dich bzw. dein Kind erneut in das Meer der Erinnerung und hoffe, dass die durchlebten Erfahrungen heute eine gute Tat vollbringen 🙂 

Schon als Kind hatte ich einen guten Zugang zu meinem Körper und spürte die Ankündigung eines Migräneanfalls zeitnah. Ein Flimmern in den Augen, Abgeschlagenheit und kalte Schweissausbrüche waren die ersten Anzeichen einer Attacke. Starke, meist einseitig pochende Kopfschmerzen und die Übelkeit liessen dann nicht mehr lange auf sich warten. Die Übelkeit versuchte ich zuerst immer mit Cola und Zwieback zu beseitigen, was nur in den wenigsten Fällen hilfreich war. Als mich dann jeweils auch der kalte Waschlappen auf der Stirn nicht mehr beruhigen konnte, verabreichte man mir Medikamente in Form von Zäpfchen. Dank denen konnte ich wenigstens ein paar Stunden schlafen, bis die Wirkung dann wieder verging. In der akuten Phase war ich nicht mehr wirklich in der Lage zu sprechen oder die Augen zu öffnen, weil die Schmerzen einfach zu stark waren. 
Es gab Tage der Attacken, an denen es meine Eltern nicht mehr zuliessen und mit mir zum Notarzt fuhren. Dieser verabreichte mir jeweils eine schnell wirkende Spritze. Das war das eine oder andere Mal meine «Rettung» in der Situation. Bis auf einmal – an diesem einen Mal machte ich die Erfahrung, in einen Trancezustand versetzt geworden zu sein. Es war ein anderer Arzt. Er kannte mich und meine Krankheitsgeschichte nicht und schlug eine Alternative zur Spritze vor. Eine Phantasiereise. Trotz schier unerträglichen Schmerzen und erschöpftem Zustand, wollte ich dies ausprobieren und willigte ein. Es dauerte etwa eine halbe Stunde und der Arzt versetzte mich in eine Welt der Schmerzlosigkeit, der Zufriedenheit und des Glücks. Ich war in Trance. Ich vergass die Schmerzen. Irgendwie schwer zu beschreiben, was in diesen Minuten mit mir geschah. Aber es hat funktioniert. Das war zugleich auch meine erste Erfahrung mit solcher Art von mentalem Arbeiten. Ich war fasziniert davon, dass dies geklappt hat. Die Schmerzen waren nicht komplett weg, ich hatte nach wie vor einen Brummschädel, aber es war erträglich und meine Panik und die Übelkeit waren verflogen. 

Eine weitere Erfahrung machte ich auf der Bühne. Da war ich bereits im Teenager-Alter. Ich hatte einen Musicalauftritt, auf den ich mich schon Monate zuvor gefreut hatte. Dieser Auftritt war auf den Abend geplant. Schon tagsüber hatte ich starke Kopfschmerzen und erste Anzeichen eines kommenden Anfalls machten sich auch schon bemerkbar. Ein schlechterer Augenblick gab es wohl keinen. So schnell es ging, nahm ich meine Medikamente ein und versuchte die Attacke wegzuschlafen.
Im benebeltem Zustand schleppte ich mich an den Veranstaltungsort und versuchte mein Glück bei den Vorproben. Ich brach zusammen und musste einmal mehr auf die dort eingerichtete Krankenstation. Der Anfall war zu stark, mein Kreislauf zu schwach. Ich war wütend auf mich selbst, nicht dabei sein zu können, nicht auf der Bühne stehen zu dürfen. Stattdessen zugedröhnt mit Schmerzmitteln im Bett. Einmal mehr. Meine Kollegen damals waren sehr verständnisvoll und hatten einen Plan B zusammengestellt. Dafür war ich ihnen sehr dankbar. Dennoch plagte mich noch lange danach ein schlechtes Gewissen. Und das war es auch, was mir bei jedem Anfall zusätzlich noch eine Last war. Mein Gewissen dem Umfeld gegenüber. Das Letzte was ich stets wollte war, meinem Umfeld in irgendwelcher Art Sorgen zu bereiten. Dass sie mich jeweils in solchem Zustand sahen, war mir überhaupt nicht angenehm und sollte nicht zu ihrem Problem werden. Das Aufbringen vom Verständnis, machte es mir etwas leichter. 
Und das ist auch etwas, was ich dir auf den Weg geben kann. Versuche nicht anhand irgendwelchen Tätigkeiten die Schmerzen deines Kindes oder deiner engstehenden betroffenen Person abzunehmen. Das kannst du sowieso nicht. Aber bringe Verständnis entgegen und schenk der Betroffenen Vertrauen. Das nimmt in solch einer Situation Last von den Schultern und hemmt den inneren Stress. 
Auch war es mir jeweils eine Hilfe, wenn die Eltern oder Betreuer, die mich gerade in diesem Zustand um sich hatten, für mich entschieden haben. Oft beobachte ich, wie die Leute gefragt werden, was sie denn jetzt gerade möchten. Oder was denn jetzt wohl das Umfeld gerade tun soll. Aje, mit solch einem pochenden Kopf, erschöpften Zustand und einem eingeschränkten Urteilungsvermögen möchtest du keine Entscheidungen mehr treffen, glaub mir. Also kannst du es dem Betroffenen etwas leichter machen, indem du mit bestem Wissen und Gewissen entscheidest. Auch das schenkt Sicherheit.
Ich kann nur von mir selbst sprechen, aber als Kind war ich während eines Migräneanfalls extrem verunsichert, ich hatte Angst und konnte nicht einschätzen, was denn jetzt gleich mit mir passiert. Da gab es mir Sicherheit, wenn meine Eltern genau wussten, was sie tun mussten und mit mir auch entsprechend so kommunizierten. 

Kinder pflegen manchmal ein ganz schön harter Umgang untereinander. Deshalb stoss ich während der Schulzeit von meinen Mitschülern ausgehend auf Unverständnis. Schnell war ich mal die Simulantin oder das Weichei oder einfach zu faul, um in die Schule zu kommen, weil ich schon wieder einen Fehltag habe. Wenn ich heute darauf zurückblicke, kann ich es nur belächeln, aber als Kind kann das belastend sein. Schliesslich wollte ich diesen Stempel nicht. Es war mir egal, wenn sich andere Kinder von mir distanzierten. Ich konnte mich schon immer sehr gut mit mir selbst beschäftigen, aber ich wollte Akzeptanz. Ein weiteres Druckmittel für einen Betroffenen. Sie wissen, wenn andere bemerken, dass sie schwächeln, geht das Theater los. Aus diesem Grund neigen viele dazu, ihren Zustand zu überspielen. Das braucht vorallem als Kind extrem viel Energie und Konzentration. Es läuft Gefahr in eine Spirale zu geraten. Vielleicht hilft es, wenn du als Umfeld zu erkennen gibst, dass der Mensch gut ist, so wie er ist. Er darf so sein, wie er ist. Jeder hat einen Rucksack zu tragen.
Ich habe in genau solchen Zeiten herausgefunden, mit wem ich näheren Umgang pflegen werde und welche Kinder/Jugendliche ich Beiseite lasse. Durch das habe ich während der Schulzeit auch gelernt, mit meinen Attacken und dem Brummschädel besser umzugehen. Nebst der Tatsache, dass ich im Schulkindalter dann begriffen habe, was Migräne überhaupt ist, erschuf ich mir Schritt für Schritt eine Handlungsweise, damit klarzukommen. Ich habe erfahren, dass es zwar eine anstrengende, mühsame «Krankheit» ist. Aber dass mein Leben dadurch wie bei anderen Krankheiten Gott sei Dank nicht in Gefahr ist. Und so entwickelte ich im Umkehrschluss auch meine Dankbarkeit. Ich hatte zwar starke Schmerzen, war aber dankbar, dass ich weiterleben darf. Ich war aufgeklärt.
​Und da sind wir schon beim nächsten Punkt. Du kannst vielleicht dein Kind aufklären. Je nach Alter versuchst du das auf eine spielerische Weise. Aber es kann von grossem Vorteil sein, wenn das Kind weiss, was da jetzt gerade mit ihm passiert. Bei mir war es so, dass es mir die Angst genommen hat und ich ruhiger wurde. Die Panik war verschwunden. Ich war freier, mehr darüber zu lernen und mich noch weiter zu festigen. Ich war bereit, Strategien für einen möglichst angenehmen Umgang zu entwickeln und meine Erfahrungen zu sammeln. Seither fast unzählige Erfahrungen. Aber genau dank diesen Erfahrungen ist es mir heute möglich, anderen die Sicherheit und die Hilfe anzubieten, die ich als Kind ebenfalls erfahren habe. 

Perform now, change forever! 

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